Queere Politik: Pläne von Schwarz-Rot überraschen

Der Tagesspiegel | 21.04.2023 | Tilmann Warnecke

Regenbogenhauptstadt nennt sich Berlin gerne. Als CDU und SPD mit den Koalitionsverhandlungen begannen, gab es in der queeren Community einige Stimmen, die befürchteten, mit dem Einfluss der Union könne es bei dem Thema ein Rollback geben. Doch nachdem der Koalitionsvertrag veröffentlicht wurde, sind die Reaktionen erst einmal positiv.

„Ich bin sehr überrascht, dass es in der Queerpolitik so weiter gehen soll“, sagt zum Beispiel Constanze Körner von „Lesben Leben Familie“. Sie empfinde eine „gewisse Beruhigung“, dass es mit dem queeren Aufbruch in Berlin in den vergangenen Jahren offenbar nicht einfach vorbei sein werde - immer unter der Voraussetzung, dass der Koalitionsvertrag auch umgesetzt wird. „Daumen hoch!“, sagt Christopher Schreiber, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg, in Bezug auf die queerpolitischen Vorhaben.

Projekte sollen gestärkt werden

Tatsächlich bekennt sich Schwarz-Rot zur Initiative für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, die 90 Prozent der Queerpolitik in Berlin abdeckt: Diese soll weiter gestärkt werden. Angestrebt wird eine Projektvielfalt im ganzen Stadtgebiet, insbesondere in bislang unterrepräsentierten Stadtteilen, ebenso mehr Angebote für queere Jugendliche. Erarbeitet werden soll eine Landesstrategie gegen Queerfeindlichkeit. Am meisten überrascht Schreiber, dass Schwarz-Rot neue „Leuchtturmprojekte“ definiert.

Ein solches Leuchtturmprojekt ist das Amt eines Queerbeauftragten, den es erstmals in Berlin geben soll. Nach Tagesspiegel-Informationen soll das Alfonso Pantisano übernehmen, aktuell unter anderem Co-Vorsitzender der SPDqueer in Berlin, eine der prominentesten queeren Stimmen seiner Partei.

Dass ein solches Amt eingerichtet werde, begrüßt Schreiber prinzipiell, wobei er die potenzielle Personalie nicht kommentieren will. „Wenn die Person wie ein*e Antisemitismus- oder Rassismusbeauftragt*e tatsächlich mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist, macht das natürlich Sinn.“ Dass vieles von der Ausgestaltung der Stelle abhängt, denkt auch Körner, wobei sie sich bei der Besetzung Diversität wünscht. Körner befürchtet etwas anderes: Dadurch, dass der Bereich Antidiskriminierung von der Justiz- zur Sozialbehörde verschoben werden soll, sei eine gewisse Selbstblockade der Verwaltung programmiert: „Bis die sich neu sortiert haben, sind wir schon im nächsten Wahlkampf.“

Kontrovers diskutiert werden dürfte die Idee, ein „Regenbogenhaus“ für Berlin einzurichten. Schreiber hält das für sinnvoll: „In den USA hat jede große Stadt ein solches Zentrum, wir brauchen das als Aushängeschild.“ Körner widerspricht: Das gehe an der Berliner Realität, wo jeder Bezirk eine Großstadt sei, vorbei: „Jugendliche fahren nicht aus Marzahn nach Schöneberg, um dort in einem schicken zentralen Zentrum Angebote wahrzunehmen.“ Schlauer wäre es, in jedem Bezirk ein solches Zentrum einzurichten, ausgerichtet auf die Bedarfe der jeweiligen Gegend.

Ein großes Thema liegt Körner und Schreiber besonders am Herzen. Viele Projekte hangeln sich von einer Jahresförderung zur nächsten. „70 Prozent unserer Arbeit besteht aus Verwaltungsarbeit, das lähmt uns“, sagt Körner. Fachkräften könnte oft keine Kontinuität geboten werden. Das müsse sich dringend ändern. Viele Projekte seien seit 15, 20 Jahren aktiv, sagt Schreiber: „Die müssen langfristig institutionell gefördert werden.“

Eines ist Schreiber wichtig: „Ich erwarte eine Null-Toleranz-Politik der CDU-Führung gegenüber queerfeindlichen Haltungen in der eigenen Partei.“ Sollte es in anderen zivilgesellschaftlichen Bereichen zu einer Verschlechterung durch Schwarz-Rot kommen, erkläre man sich solidarisch.